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Wir und Es von L.Schwarz

Titel: Wir und Es

Autor: Larissa Schwarz

Seiten: 103/ 79

Taschenbuch/ eBook

 

Klappentext:

Wer sind wir?

Wann werden wir zu dem, was wir sind? Und wodurch?

In den Neunzigern beginnt für fünf Freunde die Suche nach der eigenen Identität. Umwege, Abwege und Unwägbarkeiten führen sie in ein selbstbestimmtes Leben. Finden sie alle ihre Bestimmung?

Alles wird sich ändern, wenn wir groß sind ... hoffen wir. Als Kind, als Heranwachsender. Sogar als Erwachsener manchmal noch. Und alles ändert sich tatsächlich.

Auch wenn die Fäden der Freundschaft zerfasern, laufen sie irgendwann wieder zusammen. Dann werden sie unser Rettungsseil. Oder strangulieren uns.

 

Wir und Es von Larissa Schwarz zieht den Blick durch das farbenfrohe Cover auf sich. Die Farbgestaltung und der Titel lassen auf ein Genderbuch schließen. Dabei enthält dieses Buch Geschichten über die Kindheit, das Erwachsen werden, Außenseiter sein, die eigene Identität, Mobbing und Reue. Es geht um die Leben von Ketchupkopf, Mister Softie, Robin, Der Geiger und Die Anwaltstochter. Dass Robin der einzige Charakter mit einem richtigen Namen ist, verdeutlicht, welche Rolle Robin spielt.

 

Sie nennen ihn Es, wie den Clown aus Stephen Kings gleichnamigen Roman.

 

Wie wir damals Robin.

 

Was soll man dazu sagen? Geschichte wiederholt sich. Auch im Kleinen.“ (S.71)

 

Robin ist „das burschikose Mädchen aus der letzten Reihe“ (S.7), die „Freundin, die keine sein wollte. Eher ein Freund. Oder etwas, für das es keinen Namen gab.“ (S. 8) Durch Sonderbehandlungen gerät Robin ungewollt in den Mittelpunkt, denn die Mitschüler verstehen nicht, warum Robin eine eigene Umkleide braucht oder den Schlüssel für die Lehrertoilette hat. In den Neunzigern ist eine derartige Identitätskrise noch unbekannt, unerkannt und stößt auf Unverständnis und Abneigung.

Trotz der Unsicherheit über die eigenen Identität und das eigene Sein, kommt Robin nicht umhin in Schubladen zu denken. „In diesem Augenblick denke ich zwar nicht darüber nach, aber ich weiß jetzt, dass ich keine Lesbe bin.[…] Wieder ertappe ich mich dabei, dass ich mich in eine Schublade zu stecken gedenke, in die ich nicht gehöre“ (S.40) Für Robin scheint es nur eine Lösung zu geben: „Wenn ich mich endlich entscheiden würde, richtig entscheiden, dann hätte ich es so viel einfacher. Dann würden sich alle meine Probleme lösen. Weil ich ja dann eine Frau wäre. Oder eben ein Mann. Und dann eben auch jemanden lieben könnte.“ (S.65)

 

Für mich war Robin immer mein bester Kumpel. Mit Periode, Brüsten, maskuliner Attitüde und Jungs-Styling. So weit, so normal.“ (S.24)

 

Eine gute Freundin von Robin während der Schulzeit ist Ketchupkopf. Sie wurde als Kind schon beim Spielen ausgeschlossen, weil sie immer früh zu Hause sein musste und lieber ihre Nase in Bücher gesteckt hat. Weil Kinder gemein sind, lässt Ketchupkopf sich von deren Meinung beeinflussen: „Ich fand mich fortan nicht mehr nur hässlich, sondern auch dumm.“ (S.6)

Sie wird sogar von den Lehrern als Außenseiter behandelt, weil sie nur mit den Außenseitern (Robin und Der Geiger) befreundet ist. So fördert sie das Bild, was andere von ihr haben. Fortan ist sie die „eigenbrötlerische Buchnärrin mit der Vogelnest-Frise und der großen Klappe.“ (S.25)

Während Robin mit der eigenen Identität hadert, kämpft Ketchupkopf mit ihrer Außendarstellung: „Ihr süßes Köpfchen hat nämlich mehr zu bieten als das rote Fell und diese fiese, spitze Zunge.“ (S.34)

 

Mister Softies Vater starb, als er gerade 12 und in England in einem Vergüngungspark war. Ihm wurde erst von dem Tod berichtet, als er wieder zurück nach Hause kam. „Was blieb, war[…] Verdrängung“ (S.10), sowohl von seiner Mutter, als auch von ihm. Er lernt schnell, Rücksicht zu nehmen. „Na gut, Mama, dann halt nicht. Ich war es ja gewohnt, Rücksicht zu nehmen.“ (S.11) Nachdem er von der Schule flog und den Wehrdienst verweigerte, landet er bei der Freiwilligen Feuerwehr, wo er auf Ketchupkopf traf. „Ich würde in Teufels Küche kommen, wenn ich mich ihr nähere. Und in den Knast. Ans Ende der Nahrungskette.“ (S.29)

 

Die Anwaltstochter gehört auf den ersten Blick zu den begünstigten Kindern in dieser Geschichte. Der Vater ist Anwalt, die Mutter Lehrerin und Malerin. Sie hat zwei jüngere Brüder, ist aber „ihr liebstes Kind. […] Schließlich war ich der Grund, warum sie geheiratet haben und es meine beiden Brüder überhaupt gibt.“ (S.18) Dass nicht alles Gold ist, was glänzt, wird auch hier deutlich. Es gibt Anspielungen, die man erst beim erneuten Lesen begreift. „Der Kleine hat nie seine Strafe erhalten. Wenn Papa mit uns fertig war, durfte er mit ihm ins Arbeitszimmer. Sie hörten laut Musik und Papa trug ihn schlafend ins Bett.“ (S.19-20)

 

Der Geiger ist sonderbar, ein Außenseiter mit einem Nischen-Talent. Er ist der Sohn einer alleinerziehenden Ordnungsbeamtin, hat den Ruf als Streber und Lehrerliebling und ist schon immer in die Anwaltstochter verliebt. Er steht sehr unter der Fuchtel seiner Mutter: „Meine Mutter hatte sie [Jacke, Anm. der Bloggerin] mir rausgelegt und mir bestätigt, dass sie mich bestens kleide. Wie mir auch der Pottschnitt ganz wundervoll stand. Und das Geigenspiel.“ (S.15) Als Erwachsener ist er Musiklehrer und erlebt aus einer anderen Perspektive, wie es Kindern mit einer Identitätskrise ergeht. Das lässt ihn viel über seine Vergangenheit nachdenken. „Wir hatten in die Privat-, nein fast schon in Robins Intimsphäre eingegriffen, als wir nach Hygieneartikeln gesucht hatten.“ (S.57)

 

Jede Person erzählt ihre Geschichte aus der Ich-Perspektive in der eigenen Umgangssprache. Vor allem bei Ketchupkopf sticht diese sehr hervor. Robin ist dabei eine Nebenperson, deren Werdegang durch die Augen der anderen beschrieben wird. Wie alle Protagonisten miteinander verbunden sind, wird erst am Ende deutlich.

Wir und Es ist nicht, wie es den Anschein macht, ein Genderbuch. Es ist ein Buch über Mobbing und das Erwachsen werden aus unterschiedlichen Perspektiven, unter anderem auch aus der Perspektive des Mobbingopfers und der Täter.

 

 

In diesem Moment beschließe ich, mich mehr an dem zu erfreuen, was wir haben, und achtsamer mit dem Glück umzugehen, das uns beschieden ist. Ich nehme mir vor, mich nicht schuldig zu fühlen, sondern dankbar dafür zu sein, dass ich weiß, wer ich bin, und mich damit identifizieren kann.“ (S.79)

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